Kurzzeitig war ich geneigt den Artikel mit “die Wirkung des Cappuccino-Törtchens” zu überschreiben. Und nein, es ist kein Placebo sondern erwiesenermaßen wirksam. Auch wenn es eher symbolisch zu verstehen ist. Am 2. und 3. November 2021 fand die Digital Medicine Conference im Berlin Convention Center statt. Sie ist sozusagen der krönende Abschluss der Aktivitäten des health innovation hub des Bundesministriums für Gesundheit oder auch hih, das sich leider aber doch richtigerweise zum Jahresende auflöst. Richtig, da es eben auch der Dynamik dient, dass nicht feste Behördenstrukturen entstehen, sondern es neben einer etablierten, offenen Verwaltung auch weniger formalen Prozessen unterliegende Einheiten gibt, die Verbindungen schaffen, Dinge hinterfragen und neue Wege anstoßen können. Leider, da es wirklich toll ist, dass es das hih gab und (derzeit noch) gibt.

Digital Health Conference 2021 Berlin Convention Center Plenum. Abbildung eines grob runden Raumes. Auf der rechten Seite eine Bühne mit einem Redner an einem Redner:innen-Pult, die Wand ist mit dem Logo der Veranstaltung, einem großen M neben der Aufrschrift des Namen in mehrfacher Ausführung sowie einem einzelnen Logo des hih Health Innovation Hub beklebt. Von links bis vor die Bühne sind Stuhlreihen, die in großem Abstand aufgestellt sind, die meisten Stühle sind belegt. Die Decke ist mir runden Leuchten, die die Anmutung eines Sternenhimmels haben belegt, im mittleren Kreis ein Runde Traverse, an der weitere Beleuchtungstechnik hängt. Die eitenwände bestehen aus kleinen Zeltartig aufgespannten Kacheln, in der rechten vorderen Ecke des Bildes ist eine Ausgangstür zu sehen.

Neue Wege werden im Gesundheitsbereich auch nicht erst seit Corona verstärkt genutzt. In den Präsentationen wurde deutlich, dass die aktuellen Herausforderungen klar identifiziert und beschrieben werden können. Der Lösungsweg ist betreten und wird verfolgt, selbst wenn es nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist. So wird etwa das digitale Rezept mit einem Papier-Ausdruck starten (und sogar doppelt so viel Papier nutzen wie bisher, denn es wird jetzt mindestens A5 groß). Dies ist jedoch eine Übergangslösung, die es für weniger digitalaffine Menschen leichter macht, die Benutzerfreundlichkeit erhöht, indem die Informationen klar und einfach verfügbar sind. Es dient jedoch auch der Überbrückung etwaiger anfänglicher Prozessbrüche: das Papier enthält QR-Codes, die die Zuordnung der richtigen Datensätze ermöglicht, auch wenn es etwa noch an der breiten Verfügbarkeit der elektronischen Gesundheitskarte mit PIN mangelt. Damit sind auch schon zwei Kernmotive benannt: die Digitalisierung ist eben mehr als eine technische Umsetzung, es geht darum, Abläufe zu verbessern und die Benutzerfreundlichkeit zu erhöhen.

Für beides ist, auch das hat die Konferenz wieder einmal unterstrichen, eine intensive Arbeit an Schnittstellen nötig: technisch, prozessual doch nicht zuletzt auch menschlich. Gerade auch hierfür ist eine solche Veranstaltung wichtig. Die Informationen waren dank der hybriden Form auch ohne örtliche Nähe gut verfügbar. Ein Mix aus aufgezeichneten Videos, gestreamten Talks und Präsenzgespräch hat erstaunlich gut funktioniert. Doch bei allen virtuellen Zugriffsmöglichkeiten ist es doch auch wichtig sich auszutauschen. Das zusammentreffen unterschiedlicher Menschen mit ihren jeweiligen Gedanken beflügelt immer wieder neue Ideen und Ansätze. So lassen sich Gedanken verbinden und eine gemeinsame Basis schaffen, die Stimmung des Wandels und der positiven Gestaltung schaffen. Wirklich sinnvolle und gute Lösungen erfordern meist technische, prozessuale und natürlich immer menschliche Aspekte und Perspektiven – diese brauchen die unterschiedlichen Disziplinen, ihre jeweiligen Experten müssen zusammenkommen mit Kennern weiterer Fachbereiche.

Wie essentiell eine passende Haltung für Digitalisierungsaktivitäten ist, zeigt sich gerade auch am Schnittbereich des Rechts zur Medizin und deren digitalen Fortschritt: häufig wird das Recht als Behinderung von Erneuerungsprozessen gesehen. Besonders dort, wo Formalismen Abläufe beherrschen mag dies stimmen – wenngleich die Praxis zeigt, dass mit ein wenig Mehraufwand Neuerungen in der Regel dennoch möglich sind. Das Gesundheitsministerium und sein hih haben andererseits auch gezeigt, wie man Gesetzgebung nutzen kann, um aktiv den Wandel zu gestalten. Prominentestes Beispiel dürften hier die DiGA sein. Auf Initiative des Gesundheitsministeriums hin wurde das Sozialrecht durch das Digitale-Versorgung-Gesetz ergänzt und punktuell erneuert. Dies ermöglicht, digitale Gesundheitsanwendungen, sogenannte DiGA – konkret sind das bestimmte Medizinprodukte niedriger Risikoklasse – mit dem häufig “fast track” genannten neuen Verfahren in deutlich verkürzter Zeit in die Erstattung der gesetzlichen Krankenkassen gelangen können. Die ersten 24 DiGAs sind gelistet, insgesamt 100 Anträge gestellt. Die Gesetzgebung wird teils iterativ gestaltet. Auf die Grundregelung im Sozialgesetzbuch aufbauend ergänzen – scheinbar schon anfangs so geplant – Spezifizierungen in innerhalb kurzer Intervalle fortgeschriebenen Verordnungen. Wesentliche Aspekte, in sich abgeschlossen und funktionsfähig, jedoch auch nur ein Teil eines größeren Konzepts, werden in Tranchen eingebracht. Dieses Verfahren darf man meines Erachtens nach durchaus agil nennen. Wie hier für die Medizin vorgegangen wird, könnte durchaus Blaupause auch für andere Bereiche dienen. Auch wenn sicher nicht alles perfekt ist: Da ein Fortschreiben der Entwicklung mit eingeplant ist, kann man sich nicht nur als lernfähig bezeichnen sondern sich vermutlich auch darauf verlassen, dass man etwaige Fehler über die Zeit beseitigt. So wundert es mich nicht, dass das Thema DiGA in einigen Ländern intensiv beobachtet wird und etwa Frankreich daran zu denken scheint, ein sehr ähnliches Konzept zu übernehmen. Wichtig dabei ist: dies ist nicht mit planlosen Versuchen zu verwechseln. Das Grundkonzept muss im Vorfeld klar durchdacht sein, denn es ist das Grundgerüst auf dem die lernenden Anpassungen erfolgen.

Ach, und die Auflösung des Cappuccino-Törtchens: dieses war für mich der Anlass, mit der Gründerin eines spannenden Startups ins Gespräch zu kommen und für sie daneben auch noch der Gesprächsöffner zu einem weiteren Netz, das Ihr in der Geschäftsentwicklung helfen kann. Ganz in diesem Sinn bleibt zu hoffen, dass andere Organisationen die Lücke füllen werden, den das hih (health innovation hub) hinterlässt – denn die gibt es, wenngleich ich die hinter der befristeten Laufzeit stehende Überlegung nachvollziehen kann und die Schlussfolgerung für richtig halte. Und genauso hoffe ich, dass die Aktiven hinter dem hih in anderer Funktion weiterhin die Community bereichern.